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Foodwaste soll im Herzen weh tun
16.10.2012 – (lid) - Auf dem Land werden weniger Lebensmittel verschwendet als in der Stadt, berichtete der Regisseur und Autor Valentin Thurn und er fuhr fort, das komme daher, weil auf dem Land der Bezug zur Produktion enger sei. Thurn war einer der Referenten an der Welternährungs-Tagung vom 12. Oktober 2012 auf dem Campus Windisch der Fachhochschule Nordwestschweiz. Thema war die Lebensmittelverschwendung.
(Daniela Clemenz) - Valentin Thurn hat mit seinen Dokumentarfilmen „Frisch auf den Müll“ und „ Taste the Waste“ sowie dem Buch „Die Essensvernichter“ wesentlich dazu beigetragen, Lebensmittelverschwendung aufzudecken. Laut FAO gelangen weltweit ein Drittel aller Lebensmittel zwischen Acker und Gabel in den Müll – ein Skandal, denn rund 870 Millionen Menschen sind von Unterernährung betroffen. Valentin Thurn zeigt die Verschwendung auf, zeigt wie einwandfreie Kopfsalate im Müll der Supermärkte landen oder wie nicht verkauftes Brot in Biogasanlagen entsorgt wird. Er zeigt weggeworfene Fleisch- und Fischwaren, aber auch arme Kleinbauern und Fischer. Mit seinen Filmen rüttelte er die Gesellschaft wach.
So stand auch an der vom Ethiker Thomas Gröbly geleiteten Welternährungstagung das Thema Lebensmittelverschwendung im Mittelpunkt und Vertreter aller Stufen der Wertschöpfungskette kamen zu Wort. Etwa der Landwirt Ruedi Bühler, der auf 6 Hektaren Speisekartoffeln anbaut und rund ein Fünftel der Ernte an die Kühe verfüttert, weil diese Ausschuss-Speisekartoffel zu klein, zu unförmig oder schadhaft sind und vom Handel nicht angenommen werden. Der Ökonom Bruno Cabernard, der Leiter Nachhaltigkeit bei Coop ist, relativierte die Verschwendungsstatistiken und Dramatik des Themas und erklärte, dass bei Coop weniger als 5 % der nicht verkauften Lebensmittel im Container landen.
Wie wir uns ernähren sei keine Privatsache, sondern ein politischer Akt, hatte Gröbly eingangs erklärt. So sieht es auch Tobias Sennhauser. Der junge Student ist ein „Mülltaucher“, das heisst abends nach Feierabend plündert er mit seiner Clique die weggeworfenen Lebensmittel in den Containern der Supermärkte. Er sieht dies als Protest gegen die Konsum- und Wegwerfgesellschaft. Zudem verzichtet er mit seiner radikalen veganen Ernährungsweise auf Fleisch, Milch, Milchprodukte und Eier, denn all diese Produkte würden die Nahrungskette verlängern und dadurch gäbe es zusätzliche Veredlungsverluste und Foodwaste.
Diese Lebensweise können und wollen nicht alle übernehmen, aber jeder Privathaushalt kann dazu beitragen, dass weniger Lebensmittel weggeworfen werden. Die WWF-Studie zeigte nämlich auf, dass in der Schweiz rund 45 % aller weggeworfenen Lebensmittel aus Privathaushalten stammen. „Das muss einem im Herzen weh tun“, brachte es einer der an der WWF-Studie beteiligten Forscher, Joao Almeida, auf den Punkt. Gezieltes Einkaufen und Essensreste wiederverwerten sind einfache Tipps, an die sich jeder Haushalt halten kann.
Im nachfolgenden Podiumsgespräch zeigte aber auch Urs Vollmer Lösungsvorschläge für den Handel auf, beispielsweise könnten die optischen Qualitätsanforderungen an Früchte und Gemüse heruntergeschraubt werden. So hätte sich im 19. Jahrhundert die Branche auf eine Grössenkalibrierung von 42.2 mm bei den Speisekartoffeln geeinigt. Würde die Limite auf 38 mm herabgesetzt, gäbe es weniger Foodwaste durch unterkalibrierte Kartoffeln und die Bauern könnten mehr Speisekartoffeln abgeben. Vollmer glaubt auch nicht, dass diese etwas kleineren Kartoffeln die Konsumenten stören würden. Voraussetzung sei allerdings, dass die gesamte Branche quasi ein Agreement für solche Massnahmen unterzeichnen würde und kein Marktpartner ausschert.
Siehe auch: "Für den Abfall produziert" im LID-Mediendienst 3086 vom 24. August 2012.